Paul Klee im Kunstverein Jena 1924

Am Abend des 26. Januar 1924 hielt der Künstler und Bauhaus-Meister Paul Klee vor den Mitgliedern des Jenaer Kunstvereins anlässlich der Ausstellung seiner Bilder im Prinzessinnenschlösschen einen Vortrag.

„Jedes Wort, das er sprach, legte Zeugnis ab von seinem wahren Wesen, er war voller selbstverständlichen Leben, da es Sachlichkeit, Überzeugung und Erkenntnis stammte [sic]. So wurde der Abend zu einem Erlebnis eigener Art. (Man übersah dabei ganz, dass der Vortrag an sich monoton und hatte seine Freude an der seltsamen Gebärdensprache der Hände, die jeden inhaltlichen Gedanken mitformten und Trennendes schärfer voneinander abhoben, als es Worte jemals können).“

So berichtet im Jenaer Volksblatt vom 31. Januar 1924 ein Teilnehmer des Abends unter dem Autorenkürzel E.G., hinter dem sich vermutlich Eberhard Grisebach verbirgt, der von 1912 bis 1921 als Geschäftsführer im Jenaer Kunstverein tätig war und ab 1922 als außerordentlicher Professor Philosophie an der Universität Jena lehrte. 

Paul Klee, Junger Mann, ausruhend, [Selbstbildnis], 1911, Tusche auf Papier. Die zeichnung befindet sch in Privatbesitz. Abbildung aus: Paul Klee, Über die moderne Kunst. Bern-Bümpliz 1945, S. 7

„Wenn ich in der Nähe meiner Arbeiten, die eigentlich ihre selbständige Sprache reden sollten, nun das Wort ergreife, so wird mir zunächst ein wenig bang, ob auch ausreichende Gründe beisammen sind, und ob ich es auch in der rechten Art tun werde.
Denn: so sehr ich mich als Maler im Besitze meiner Mittel fühle, andere dahin in Bewegung zu setzen, wohin es mich selber treibt, mit derselben Sicherheit durch das Wort solche Wege zu weisen, das fühle ich mir nicht gegeben.“

Mit diesen Worten in Bescheidenheit beginnt Klee seinen kunsttheoretischen Vortrag, der sich mit dem schöpferischen Vorgang der Formfindung und dessen Bedingtheiten auseinandersetzt.
Klee definiert Kunst als umgeformtes Abbild der Natur, des Lebens. Beide Bereiche bilden für sich jeweils ein Ganzes, dass sich aus mehrdimensionalen, gleichzeitig und wechselseitig agierenden Gliedern zusammensetzt.  
Der Künstler positioniert sich zwischen beide Systeme, als Mittler. Zur Veranschaulichung verwendet er hierfür das Bild des Baums:

„Lassen Sie mich ein Gleichnis gebrauchen, das Gleichnis vom Baum. Der Künstler hat sich mit dieser vielgestaltigen Welt befaßt, und er hat sich, so wollen wir annehmen, in ihr einigermaßen zurechtgefunden; in aller Stille. Er ist so gut orientiert, daß er die Flucht der Erscheinungen und Erfahrungen zu ordnen vermag. Die Orientierung in den Dingen der Natur und des Lebens, diese vielverästelte und verzweigte Ordnung möchte ich dem Wurzelwerk des Baumes vergleichen.
Von daher strömen dem Künstler die Säfte zu, um durch ihn und durch sein Auge hindurchzugehen.
So steht er an der Stelle des Stammes.
Bedrängt und bewegt von der Macht jenes Strömens, leitet er Erschautes weiter ins Werk.
Wie die Baumkrone sich zeitlich und räumlich nach allen Seiten hin sichtbar entfaltet, so geht es auch mit dem Werk.“ 

Paul Klee, Vortrag, gehalten aus Anlass einer Bilderausstellung im Kunstverein zu Jena am 26. Januar 1924, Folio 3 verso und 4 recto. Das Manuskript befindet sich im Zentrum Paul Klee in Bern. Abbildung aus: Thomas Kain, Mona Meister, Franz-Joachim Verspohl (Hrsg.): Paul Klee in Jena 1924. Der Vortrag. Jena 1999 (= Minerva. Jenaer Schriften zur Kunstgeschichte, Band 10), S. 16/17

Klee definiert und dekliniert nun die künstlerischen Mittel, mit denen diese „Weiterleitung“ erfolgt. Er nennt drei spezifische Dimensionen des Bildes und erläutert diese ausführlich: Linie, Tonalität und Farbe. Die Kombination dieser Elementarmittel führt zur Komposition, die geleitet ist vom künstlerischen Willen, der  vom „Vorbildlichen zum Urbildlichen“ gelangen möchte.
Im Jenaer Volksblatt vom 31. Januar 1924 fasst der Autor mit dem Kürzel „E. G.“ den Vortrag prägnant zusammen:

„Aber nicht von den Zeichnungen selbst sprach der „Meister“, sondern nur von ihrem Gewordensein im allgemeinen, von den einfachsten Elementen eines jeden Bildganzen: von der Linie (dem Meßbaren), den Hell- und Dunkeltönen (dem Wägbaren) und den Farben an sich (denen der Unterschied der Qualität zugrunde liegt). Ausgehend hierbei vom Wesen des Künstlers, dem er in bescheidener Weise die Rolle des „Mittler“ zuwies, der das aus der Tiefe Kommende zu sammeln hat, kam er zu schlichten und wundervoll plastischen Formulierungen seiner eigenen Kunst und dessen Schaffensprozeß.“    

Buchdeckel und Seite 5 der Erstausgabe des Textes von Paul Klee „Über die moderne Kunst“, 1945 erschienen im Bentelli-Verlag Bern-Bümpliz. mit der fehlerhaften Angabe: „anläßlich der Eröffnung einer Ausstellung moderner Kunst 1924 im Museum Jena“. Klee hielt seinen Vortrag anlässlich der am 6. Januar 1924 eröffneten Ausstellung am 26. Januar 1924 im Prinzessinnenschlösschen, dem damaligen Ausstellungsort des Jenaer Kunstvereins.

Nicht nur im intellektuellen Gestus des lokalen Zeitungsberichtes klang die Wirkung der Worte Klees nach, sie fand auch Widerhall und Resonanz in der Kunsttheorie und -geschichte des 20. Jahrhunderts. Unter dem Titel „Über die moderne Kunst“ wurde der Text posthum im Jahr 1945 erstmalig als Essay veröffentlicht. Klee verzichtete auf das Angebot einer Publikation durch den Kunstverein, hatte er den Vortrag doch für ein “wenig vorbereitetes Laienpublikum” geschrieben, wie er in einem Brief vom 19. Februar 1924 Walter Gropius, dem Direktor des Staatlichen Bauhaus Weimar, mitteilte, so dass der Text vermutlich nicht seinen künstlerisch-didaktischen Ansprüchen genügte.
1999 erschien der Vortrag als Faksimile-Ausgabe anlässlich der Ausstellung „Paul Klee in Jena 1924“ im Jenaer Stadtmuseum „Göhre“, die in Zusammenarbeit mit dem Kunsthistorischen Institut der Universität Jena, der JENOPTIK AG und dem Kunstverein Jena gezeigt wurde. 

Paul Klee, Löwen, man beachte sie !, 1923/155, Ölpause, Aquarell, Feder und Bleistift auf Unterlegekarton, 30,5 × 48,5 cm. Das Bild wurde zur Ausstellung 1924 in den Ausstellungsräumen des Jenaer Kunstvereins im Prinzessinnenschlösschen gezeigt. Standort: Düsseldorf, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Abbildung aus: Thomas Kain, Mona Meister, Franz-Joachim Verspohl (Hrsg.): Paul Klee in Jena 1924. Der Vortrag. Jena 1999, S. 173

Hugo Erfurth, Foto-Porträt von Paul Klee, 1927,

Kurzbiografie

Paul Klee wurde 1879 als Sohn einer Schweizerin und eines Deutschen in der Schweiz geboren. Er studierte Kunst in München, dort stand er in engem Kontakt mit der Kunstgemeinschaft “Der blaue Reiter” um Franz Marc und Wassily Kandinsky. Im Jahr 1914 unternahm er mit August Macke und Louis Moillet eine Reise nach Tunesien, die Einfluss hatte auf sein Verständnis des Farbgebrauchs.  Im ersten Weltkrieg diente er als Soldat in der bayerischen Armee. 1916 stellte er erstmalig in der Berliner Galerie “Der Sturm” aus. 1920 wurde er als Werkstattmeister an das Staatliche Bauhaus Weimar berufen. Seit den 1920er Jahren stellte Klee vermehrt auch international aus, u.a. in den USA und Frankreich.

Nach politischen Druck der im Januar 1924 gewählten rechtskonservativen, deutsch-völkischen Minderheitsregierung in Thüringen wechselte das Bauhaus samt Kollegium nach Dessau. 1931 geht Klee als Professor an die Kunstakademie Düsseldorf. 1933, nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten und ersten Repressionen, emigrierte er mit seiner Familie nach Bern in die Schweiz. Seine Kunst wurde von der nationalsozialistischen Kulturpolitik als “entartet” diffamiert. Er starb 1940 nach langer Krankheit in Locarno-Muralto auf einem Kuraufenthalt. (Foto: Hugo Erfurth, Porträt Paul Klee, 1927)


Jahresrückblick und -ausblick des Jenaer Kunstvereins 1923/1924, gestaltet von Walter Dexel, auf dem Faltblatt werden unter anderem Vortrag und Ausstellung von Paul Klee angekündigt. Foto: Kunstsammlung Jena

Im Jenaer Kunstverein hatte Klee zu Lebzeiten zwei Einzelausstellungen (1920 und 1924), zudem waren seine Werke in drei Gruppenausstellungen zu sehen (1917/18, 1920, 1924). 

Paul Klee, betroffener Ort, 1922/109, Gouache, Aquarell, Feder und Bleistift auf Papier auf Unterlegekarton, 30,7 x 23,1 cm. Paul Klee übergab das Bild 1924 als Dauerleihgabe an den Kunstverein. Ob es in der Ausstellung des gleichen Jahres zu sehen war, ist nicht nachgewiesen. 1929 zog er die Leihgabe zurück. Standort: Zentrum Paul Klee, Bern, Abbildung aus: Thomas Kain, Mona Meister, Franz-Joachim Verspohl (Hrsg.): Paul Klee in Jena 1924. Der Vortrag. Jena 1999 (= Minerva. Jenaer Schriften zur Kunstgeschichte, Band 10), S. 69

Der Autor Robert Sorg, Vorsitzender des Jenaer Kunstvereins, ist Kunsthistoriker und Bibliothekar.

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