Workshopzeitraum: 18. Juni bis 20. Juni 2025
Ausstellung der Ergebnisse in der Galerie des Jenaer Kunstvereins am 21. Juni 2025
Eine Kooperation des Jenaer Kunstvereins mit der Montessorischule Jena
Das Nachrücken, begriffen innerhalb der Sukzession in Ökosystemen, beschreibt Progression und Regeneration. Eine Störung wirkt ein, markiert End- und Anfangspunkt zugleich, der Kreislauf wird neu begonnen oder fortgeführt. Flechten oder Moose, angepasst an die vorherrschenden Umweltbedingungen, sprießen zuerst, ebnen den Weg für Sträucher, Büsche, Bäume, bieten Lebensräume. Das Kunstvermittlungsprojekt „Von der Kunst des Nachrückens“ greift die Auseinandersetzung mit Naturprozessen sowie der Mensch-Natur-Beziehung der Ausstellung sukzessive auf. Davon ausgehend setzen sich Schüler*innen der 5. und 6. Klassenstufe unter der Anleitung von Lea Willim (Kunstvermittlerin), Rodrigo Arteaga Arbaca (Künstler) und Hannah Chodura (Kuratorin) mit Ökosystemen auseinander. Im Fokus steht der Wald, seine natürlichen Wachstums-, Regenerations- und Verfallsprozesse sowie die interspezifischen Verflechtungen in der Pflanzen- und Tierwelt. Die Schüler*innen sammeln, untersuchen, gestalten, installieren Naturmaterialien und stellen sie vernetzt miteinander aus. Die Galerie des Jenaer Kunstvereins verwandelt sich dadurch selbst in ein kleines Ökosystem. Innerhalb der Workshoptage nehmen die Schüler*innen unterschiedliche Rollen und Perspektiven zwischen Künstler*in, Kurator*in und Forscher*in ein.
Tag eins: Die Ökologische (Interessen-)Nische
Das Bild der Ökologischen Nische, verstanden als individueller Interessensschwerpunkt, dient den Schüler*innen als Ausgangspunkt für die Themenfindung und die Entwicklung ihrer Kunstwerke. In eigenen Mappen tragen sie dafür Informationen oder Skizzen rund um ihre Nische zusammen. Erste Inhalte ergeben sich bei dem Besuch der Ausstellung sukzessive im Frommannschen Garten und der Erkundung der Werke Mira Friedrichs und Ulrike Mohrs. Eigene Beobachtungen, eine Traumreise, die sie auf die Wahrnehmung ihrer Umgebung abseits des Sehsinns fokussiert, und ein Rundgang im dialogischen Format, moderiert von Hannah Chodura, bieten Raum für Reflektion. Zurück im Kunstverein finden die Schüler*innen informative Plakate, Naturmaterialien wie Holzrinde, Moose, Pilztinte des Schopf-Tintlings etc. sowie Videodokumentationen zu Rodrigo Arteagas künstlerischer Arbeit und Bücher rund um Ökosysteme und deren Lebensgemeinschaften ausgelegt vor.
Die Schüler*innen bewegen sich frei im Raum, sondieren mögliche Themen, probieren sich zeichnerisch aus und vertiefen sich so in ihre Nische.
Tag zwei: Der Waldspaziergang
An Tag zwei begeben sich die Workshopteilnehmer*innen auf einen Spaziergang in den Wald im Oberen Munketal (Jena), um das Ökosystem aus nächster Nähe künstlerisch zu erforschen. Zuerst leitet Rodrigo Arteaga eine Soundaufnahme im Unterholz, im Schatten der Bäume an. In diese gliedern sich die Schüler*innen auditiv über eine Vogelpfeife ein. Anschließend durchlaufen sie vier Stationen, die ihnen verschiedene künstlerische Techniken näherbringen, wie Frottage oder das Zeichnen und Drucken mit Pilztinte oder Zeichenkohle. Ausgestattet mit Lupen erforschen sie die Pflanzen- und Tierwelt des Waldes und sammeln Naturmaterial für potentielle Installationen.
Zurück im Jenaer Kunstverein zeigen die Schüler*innen die Ergebnisse ihrer Stationsarbeit und überlegen, welche Verbindungen zwischen dem gesammelten Naturmaterial und ihren Zeichnungen und Abdrücken bestehen. Über den Gedanken der Verflechtung gelangen sie spielerisch und reflexiv vom gezeichneten Baumpilz zu gesammelten Moosen oder Flechten und verknüpfen diese über das Bild der Symbiose oder natürliche Kreisläufe in Ökosystemen.
Tag drei: Künstlerische Produktion
In den zwei Etagen der Galerie des Jenaer Kunstvereins sind Stationen aufgebaut: Verarbeitung von Ton sowie ein Installationen-Arbeitstisch, neben einer Zeichen-/Malstation, Bereiche, die zur Partizipation einladen. Es werden Äste zersägt, Naturmaterialien zu Bildern oder freistehenden/hängenden Werken zusammengesetzt oder ein Baum aus gesammelten Rinden- und Moos-Fragmenten rekonstruiert. Aus der Ökologischen (Interessen-)Nische heraus entstehen Stück für Stück die Kunstwerke der Schüler*innen. Nach diesem kreativen Prozess bespricht die Gruppe auch kuratorische Fragen, etwa wie sie die entstandenen Werke im Galerieraum präsentieren und zueinander in Bezug setzen wollen. Auf einem Präsentationstisch mit Lupe und weiteren Untersuchungsinstrumenten wird ein Teil des Waldmaterials zur sinnlichen Erkundung ausgelegt – außerdem ein Glas mit lebendigen Ringelwürmern, die sichtbar Gänge in die Erde gegraben haben.
Die Ausstellung
Am 21. Juni öffnet die Ausstellung von 13 bis 19 Uhr. Das Publikum betritt eine völlig verwandelte Galerie: sie treffen auf ein künstliches Ökosystem aus bunten Pilzen, Flechten und Blättern, die aus Holzbalken wachsen oder als installative Arrangements von der Decke hängen. Vom oberen Stockwerk aus sind Geräusche des Waldes im Rahmen der zuvor aufgenommenen Soundscape zu hören. Die Ausstellung dokumentiert den schöpferischen Prozess der Schüler*innen während der Workshoptage und zeugt von der Auseinandersetzung mit Lebensgemeinschaften zwischen Pflanzen, Tieren und Menschen. Die Ausstellung fragt nach unseren alltäglichen Lebensformen und Beziehungen: wie leben Mensch, Tier- und Pflanzenarten miteinander? Was können wir von Flechten und Pilzen-Myzelien im Hinblick auf unser soziales Miteinander lernen? Was benötigt unsere Umwelt – sei sie städtisch geformt oder ‘naturbelassener’ –, um für eine breite Artenvielfalt überhaupt Schutz- und Lebensraum zu bieten?
Die partizipativ angelegten Elemente in der Ausstellung spiegeln die Inhalte des Workshops wider und laden dazu ein, Gedanken über Lebensgemeinschaften zu teilen und weiter zu denken. Auf einer Wand füllen Besucher*innen etwa Stichworte aus oder zeichnen Bilder zu ihrer Lieblingslebensform: „Flechten“, „Mikroben“, „Pilze“, aber auch „Schlafen“ sind Antworten. Daneben entsteht auf einer über den Raum ausgebreiteten Papierrolle eine Zeichnung mit Bestandteilen eines Ökosystems – angefangen mit einem Menschen, über Pilze, Pflanzen, aber auch farbigen Flächen, die an Sonnenstrahlen oder Regenbögen erinnern. Auf diese Weise entstehen Angebote vielfältiger Verflechtungen zwischen künstlerischem Ausdruck und Naturmaterial; Nischen reihen, verbinden oder gruppieren sich und perspektivieren das Ökosystem „Wald“ auf eine neue ästhetische Weise. Mit den Besucher*innen wächst die Ausstellung als offenes Konzept und kommunikatives Setting, wo Kunstwerk und inhaltliche Auseinandersetzung ineinandergreifen und sich sukzessive erweitern.
Text: Livia Stier und Hannah Chodura
Workshopleitung
Lea Willim, Rodrigo Arteaga Arbarca in Co-Produktion mit Hannah Chodura
Workshopunterstützung
Livia Stier, Loreen Kraska
Kooperationspartner
Montessorischule Jena
Beteiligte Lehrkräfte
Petra Prauße, Juliane Roß
Die Projekttage „Von der Kunst des Nachrückens wurden“ von der Landesvereinigung Kulturelle Jugendbildung Thüringen e.V. gefördert.
